Rhein-Zeitung vom  05.10.2019 Thomas Brost

Interview: Wie können im Großraum Koblenz mehr Menschen auf die Bahn umsteigen?

Thorsten Müller ist seit Februar 2019 Direktor des Zweckverbandes Schienenpersonennahverkehr Rheinland-Pfalz Nord – oder kurz SPNV Nord. Zuletzt war der 50-Jährige Geschäftsführer des Zweckverbandes ÖPNV Vogtland und des Verkehrsverbundes Vogtland GmbH – er ist also ein Kenner der Anforderungen des Öffentlichen Personennahverkehrs. Die ersten zehn Jahre seines Berufslebens war er in verschiedenen verantwortlichen Positionen für die DB Netz AG tätig, zuletzt als Regionalbereichsleiter Mitteldeutschland in Leipzig

Herr Müller, was hätte die Bahn zur Linderung des Brückenchaos in Koblenz beitragen können?

Ich hätte ja gern gesagt, wir können auf der Schiene schnell reagieren, um in einer solchen Situation Zugfahren als Alternative anzubieten. Aber das ist ein komplexes Thema. Als Aufgabenträger planen, bestellen und finanzieren wir den Nahverkehr auf der Schiene sowie auf ausgewählten regionalen Buslinien, sogenannten Regio-Linien, aber wir führen ihn nicht selbst durch. Die von uns beauftragten Eisenbahnverkehrsunternehmen brauchen für zusätzliche Fahrten freie Fahrzeuge, verfügbares Personal und entsprechende freie Slots, also Zeitfenster, auf der Schiene. In der konkreten Situation haben die Punkte noch nicht zusammengepasst. Das System Schiene reagiert leider viel zu langsam auf schnelle Änderungen.

Sie hatten sich also durchaus Gedanken zu dem Problem gemacht?

Natürlich. Der ÖPNV soll den Menschen helfen und eine echte Mobilitätsalternative zum Auto anbieten. Anhand der Rheinbrückenproblematik kann man das schön durchspielen. Mehrere Bausteine müssen gleichzeitig zusammenwirken: Basis für alles ist die Verfügbarkeit einer Trasse, also ein freier Slot, auf dem Streckenabschnitt von Neuwied über Engers, Vallendar und Horchheimer Brücke nach Koblenz. Das Ergebnis einer solchen Trasse ist ein Fahrplan. Hier eine Trasse zu finden, ist durch den Infrastrukturbetreiber DB Netz im laufenden Jahr 2019 nicht gelungen. Zum einen verkehren da viele Güterzüge, und die Kapazitäten auf der Horchheimer Eisenbahnbrücke sind zu niedrig – auch wegen anderer Nahverkehrszüge. Natürlich wird auch ein Eisenbahnverkehrsunternehmen benötigt, das die Zugfahrten durchführen kann, aber das war eher eine leichtere Übung. Außerdem werden ein freies Fahrzeug und ein Lokführer benötigt. Des Weiteren muss am Hauptbahnhof Koblenz auch eine freie Bahnsteigkante zum Ein- und Aussteigen zur Verfügung stehen.

Hört sich sehr kompliziert an …

Ja, die Knackpunkte konnten in diesem Jahr nicht gelöst werden. Es greifen halt viele Prozesse ineinander. Lösungen gehen in unserer Branche Schienenpersonennahverkehr nicht auf Knopfdruck. Ich bin verhalten optimistisch, dass es eine verkehrliche Lösung ab Dezember gibt. Wünschenswert wäre eine Verdichtung der Züge auf der rechten Rheinseite zum Halbstundentakt. So könnten ab Dezember auch Schüler, die nur rechtsrheinisch unterwegs sind, mit der Schiene befördert werden. Wenn es klappt, werden wir das natürlich rechtzeitig bekannt geben.

Nun stehen rechtsrheinisch Sanierungsarbeiten an. Halten Sie dies für sinnvoll, wenn mehr Pendler auf die Bahn umsteigen wollen? Setzt die Bahn Sie eigentlich rechtzeitig ins Licht, wenn es um Baustellen an der Rheinschiene geht?

2021/22 wird rechtsrheinisch die Sanierung des Horchheimer Tunnels angegangen, aber das ist ja schon länger bekannt und für so einen alten Tunnel sicherlich auch nötig. Die Planungen für die Instandhaltung laufen schon seit einiger Zeit, und DB Netz stimmt sich auch mit uns bezüglich der möglichen Fahrten ab. Wir werden in solche Planungen einbezogen, insbesondere wenn sie so groß sind, dass dies im Jahresfahrplan berücksichtigt werden muss. Die Informationen vonseiten der Bahn sind zwar nicht immer perfekt, aber wir werden frühzeitig informiert. Manchmal sind wir auch nicht so glücklich, wenn wir dann vor vollendeten Tatsachen stehen. Wie etwa bei der Baustelle in Bonn-Beuel, wo für die S 13 gebaut wird. Im Ergebnis wurden mehr als 200 Güterzüge – von 260 insgesamt – noch zusätzlich linksrheinisch umgeleitet. Was das für die Pünktlichkeit der Fahrgäste wie der transportierten Güter bedeutet, dürfte sich jeder vorstellen können.

Die Rheinschiene ist ohnehin überlastet – wie kann man aus Ihrer Sicht Abhilfe schaffen?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Im Personenverkehr können wir wegen der Nachfrage nicht weniger Züge fahren lassen. Im Güterverkehr wünschen sich das sicher viele, aber das können wir gar nicht beeinflussen. Für die Menge der Züge sind zwei Punkte besonders zu beachten: Ein unterschätzter Aspekt ist die moderne Signaltechnik. Wir haben viele alte Stellwerke am Rhein, die modernisiert werden müssten. Laufen sie elektronisch beziehungsweise digital, ist bei guter Planung mehr Puffer vorhanden oder eine engere Taktdichte möglich. Erreicht wird dies zum Beispiel durch kürzere Signalabstände und bessere Geschwindigkeiten. Die Stellwerksanierung ist zwar teuer, aber dringend notwendig. Bund und Deutsche Bahn reden in dem Zusammenhang über ein Programm „Digitale Schiene Deutschland“. Wenn aber durch ein modernes Stellwerk gleichzeitig Überholgleise entfernt werden, ist das kontraproduktiv. Und das ist der zweite Punkt. Wenn der Fahrplan, durch welche Gründe auch immer, durcheinandergerät, benötigen die Züge auf der Schiene viel mehr Möglichkeiten zum Ausweichen, Überholen und Umleiten. Wir sind erfreut, dass jetzt an der Mosel westlich von Cochem bis nach Ehrang eines der ersten digitalen Stellwerke gebaut wird. Aber auf der linken Rheinseite dauert es wohl noch.

Sie plädieren für eine Verbesserung der Schieneninfrastruktur. Dabei sind in der Vergangenheit nicht nur Überholgleise, sondern auch Haltepunkte abgebaut worden, die heute helfen würden …

Es gibt Menschen bei der Bahn, die das mit dem Rückbau nicht hören wollen. Man nervt, wenn man immer wieder den Finger in diese Wunde legt. Rausreißen geht schnell, Wiederaufbauen dauert ungleich länger, und dann kommt sofort die Frage nach der Finanzierung. Hier ist der Bund als Eigentümer in der Pflicht. Heute hat man bei der DB schon umgedacht, aber die Fehler der Vergangenheit sind halt da. Bei den Haltepunkten ist das etwas anders. Viele Stationen müssen modernisiert und barrierefrei ausgebaut werden. Glücklicherweise gibt es in Rheinland-Pfalz entsprechende Modernisierungsprogramme, für die Land, DB und Bund Geld geben. Aber das dauert auch noch etwas. Die Eisenbahn braucht aber für die Zukunft gute Haltepunkte an den richtigen Stellen. Das könnte, wie etwa in Horchheim untersucht wird, dazu führen, dass frühere Haltepunkte reaktiviert oder neue Orte definiert werden. Der junge Haltepunkt Koblenz-Stadtmitte wird gut angenommen, das macht eigentlich Mut für mehr.

So gut, dass ein zweiter Haltepunkt am Koblenzer Verwaltungszentrum kommen muss?

Wir als SPNV Nord unterstützen diese Pläne ausdrücklich, sie sind genau das Richtige. Viele Menschen, die dort arbeiten oder wohnen, erhalten mit einem neuen Haltepunkt eine gute Erschließung. Dazu wird die Förderung durch Landes- und Bundesmittel benötigt. Und dann kann dieser Haltepunkt eine gute Schnittstelle zur Vernetzung mit Bussen, Taxis, E-Rollern, dem Fahrrad, E-Bike und natürlich den Fußwegen werden. Städtischerseits ist da ein tolles Projekt auf den Weg gebracht. Bei der eisenbahntechnischen Realisierung gab es ein paar Rückschläge, aber zuletzt auch wieder Mut machende Erkenntnisse. Ich hoffe sehr, dass uns, den Partnern in der Eisenbahnbranche, dieser Haltepunkt gelingt.

Wenn Sie mehr Pendler in Richtung Koblenz in die Züge bekommen wollen, etwa aus dem Westerwald, dann müssen diese Leute irgendwo ihre Autos in unmittelbarer Nähe eines Bahnhofs abstellen können, um umzusteigen. Da mangelt es doch an der Infrastruktur …

Das wäre natürlich klasse, wir hätten schnelle Eisenbahnverbindungen aus dem Westerwald an den Rhein, das gab es ja auch schon mal. Warum kann man mit dem Zug eigentlich nicht schnell von Montabaur nach Koblenz fahren? Wer einmal im Auto sitzt, fährt wahrscheinlich auch bis zum Ziel weiter. Ein besserer ÖPNV allein reicht nicht aus, da gebe ich Ihnen recht. Insgesamt müssen wir noch mal über das Thema größere Park-and-ride-Plätze sprechen. Es müssen mehr Parkmöglichkeiten an der Schiene geschaffen werden.

Für den Autofahrer müssen Sie den ÖPNV aber nicht nur bequemer, sondern auch billiger machen. Wäre da nicht ein Bürgerticket für einen geringen Preis für den gesamten VRM/SPNV-Bereich sinnvoll?

Die Nutzung des ÖPNV ist in den jüngsten Jahren im politischen Raum deutlich nach vorne gerückt. Da wir alle herumkommen, kennen wir aus anderen Regionen attraktive Angebote, das setzt man ja immer mit billigen Angeboten gleich. Wien macht ein 365-Euro-Ticket, Luxemburg führt nächstes Jahr einen kostenlosen ÖPNV ein. Mal abgesehen davon, dass der SPNV Nord nicht für die Bildung der Fahrpreise zuständig ist, haben die zuständigen Verbünde und Verkehrsunternehmen ja auch einige tolle Tickets im Angebot. Wenn man die Fahrpreise reduzieren will, muss man auf der anderen Seite sehen, dass die Verkehrsunternehmen die Aufwendungen tragen können. Kein Fahrpreis im Nahverkehr ist heute bei uns kostendeckend, wenn also die Fahrpreise gesenkt werden, braucht man entweder dafür mehr Fahrgäste oder mehr Zuschüsse – Zuschüsse aus den Kassen des Landes und der lokalen Aufgabenträger.

Am Rhein, in Richtung Hessen, bräuchte es auch eine klarere Tarifstruktur gerade mit Blick auf die Buga 2029, oder?

Die Tarifstruktur ist ja hier eigentlich klar und deutlich: Auf hessischer Seite gilt der RMV-Tarif, auf unserer Seite der VRM-Tarif, auf der Schiene ist dann überschreitend der deutschlandweite Eisenbahntarif gültig. Was wir unbedingt brauchen, ist der einfache Erwerb eines Tickets, egal wie viele Tarife davon betroffen sind. Der Kunde sollte nicht mehr mühsam Tarife studieren müssen, überlegen, welchen er jetzt nutzen soll, und sich nachher vielleicht ärgern, dass es doch günstiger gegangen wäre. Die Digitalisierung kann hier entscheidend weiterhelfen. Ich denke da an Projekte wie „Mobility inside“, eine Plattform, die die Angebote eines Verkehrsunternehmens oder eines Verkehrsverbundes mit denen anderer Anbieter vernetzen und überregional verfügbar machen soll. Mit solchen Angebotsbündelungen auf einer Plattform kann jeder Fahrgast über den lokalen oder regionalen Verkehrsverbund hinaus leicht fahren, denn er muss sich nur einmal anmelden, kauft für eine Fahrt mit einem Klick alle nötigen Tickets. Diese Möglichkeiten der Digitalisierung können wir in unserer Branche noch besser nutzen. Zur Bundesgartenschau, da hoffe ich doch, dass es dann ein eigenes Buga-Ticket geben wird.

Zwischen Ochtendung und Bassenheim ist eine ehemalige Bahnstrecke zum Radweg umgebaut worden. Kann es sich die Bahn mit Blick auf umweltfreundliche Transportmöglichkeiten überhaupt erlauben, Strecken preiszugeben?

Was Ochtendung–Bassenheim betrifft: Eine durchgängige, direkte Trasse von Koblenz bis nach Mayen mit Erschließung der Industriegebiete wäre traumhaft gewesen. Damals hat man sich anders entschieden, deswegen muss der Zug heute mit dem Umweg über Andernach verkehren.

Bund und Land denken über die Elektrifizierung weiterer Bahnstrecken nach und sehen für die Lahntalbahn von Lahnstein bis Limburg oder Wetzlar ein Potenzial. Auch der Fahrgastverband Pro Bahn fordert den Ausbau des Streckenabschnitts. Wann kommt es dazu?

Das Land hat die Elektrifizierung der Lahnstrecke beim Bund für das Programm Güterbahnen angemeldet. Nun liegt es in der Verantwortung des Bundes, der all diese Anmeldungen zusammenführen und bewerten muss. Ich selbst bin bei dieser Strecke noch nicht so weit im Thema, um die Relevanz für den SPNV richtig bewerten zu können. Diese Strecke ist landschaftlich sehr reizvoll und verbindet in einer recht guten Ost-West-Ausrichtung die Regionen entlang der Mosel und der Lahn über den Vogelsberg mit dem zentralen deutschen Fernverkehrsknoten Fulda n Osthessen. Schnellere Fahrzeiten in genau dieser Achse mit Bad Ems, Diez, Limburg, Wetzlar und Gießen mittendrin wären sehr vorteilhaft. Weder zu dieser Fahrzeitbeschleunigung noch zu einer möglichen Elektrifizierung traue ich mir eine Zeitangabe zu.

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